DELPHI 2.0

Erkenne dich selbst – ein Beitrag zu Lena Violetta Leitners Ausstellung „Delphi 2.0 (Phyto-Pythia)“ 

Lena Violetta Leitner setzt sich in ihrer künstlerischen Arbeit, die im Rahmen von „Delphi 2.0 (Phyto-Pythia)“ im Mz*Baltazar’s Lab von 23.09. bis 21.10. 2022 zu sehen sein wird, mit diversen Aspekten der Institution des Orakels und der dazugehörigen Dimension der Zukunft auseinander. Gerade das Hier und Jetzt ist durch große Ungewissheiten sowie lebensverändernde Krisen potenziell geprägt, so ist es für die Künstlerin essenziell sich nicht von damit verbundenen Ängsten und Unsicherheiten leiten zu lassen, sondern mit der Kraft des Kollektivs dagegen zu wirken. Mit einer feministischen Haltung und ganz im Zeichen der Solidarität möchte Leitner Raum für Austausch, Interaktivität und Diskurs schaffen. So lädt sie ihre Kolleginnen Valerie Habsburg und Ege Kökel im Rahmen der Ausstellung zum Gespräch mit anschließendem „aus dem Tee lesen“ und einen Blick in die Zukunft wagend ein. 

Mehr zu Tea Talk HIER.

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2022
Installation
Pflanzen, Keramiktöpfe, Projektion, Elektronik, Lautsprecher

entstanden im Rahmen der Einzelausstellung „Delphi 2.0 (Phyto-Pythia)“, Mz* Baltazar’s Lab 

Danke für die Unterstützung: Bildrecht, Kulturkommission Brigittenau

Foto: Janine Schranz

Experimentierfreudigkeit, Erfindergeist und Dialoge ziehen sich wie ein roter Faden durch Leitners künstlerisches Schaffen. Dabei basieren ihre Forschungen der jeweiligen Projekte auf meist jahrelangen Recherchen und manifestieren sich in Installationen, Interventionen oder Performances. 

Im Zuge einer Residency in Athen setzte sich die Künstlerin mit der Orakelstätte Delphi näher auseinander. Ein geschichtsträchtiges Areal der griechischen Antike, zu dem viele Menschen gepilgert sind und sich ihre großen Fragen beantworten ließen. Von den heute noch sichtbaren Fragmenten fertigte Leitner an Ort und Stelle 3D-Scans an und überlagerte diese dann mit Aufnahmen ihres Bildschirmes sowie technisch produzierten Glitches. Die daraus entstandene Videoarbeit lässt die Betrachtenden in eine immersive Welt eintauchen, verweist einerseits auf die Prozesshaftigkeit und die Veränderung – Aspekte, die mit Prophezeiungen einhergehen – , andererseits zeigt sie einen Status Quo auf. Dadurch, dass die Kultstätte nicht mehr alle Informationen trägt, viele sind gebrochen und zerstört, können sich Fehler bzw. Ungewissheiten einschleichen, die systemische Offenheit ins Bewusstsein rücken.

Foto: Janine Schranz
Foto: Janine Schranz
Fotos: Janine Schranz

Mit „PFLANZENORAKEL“ transferiert die Künstlerin nicht nur die Idee des Orakels, sondern konturiert eine aus Pflanzen bestehende, interaktiven Installation. Positioniert sich der*die Besucher*in inmitten der teils aus femden Ländern stammenden Pflanzen, so geben diese nach Berührung mehrdeutige Orakelsprüche von sich. Leitner wählte hierfür den Bogenhanf, auch Schwiegermutterzunge genannt, den Drachenbaum und den Japanischen Staudenknöterich aus. Erstere schafft eine Assoziation zur Redensart „eine spitze Zunge haben“, was so viel bedeutet, wie keine Angst vor der Wahrheit zu haben. Zweitere spannt den Bogen zur Mythologie: Denn einst soll der Drache Python in Delphi gelebt haben und nachdem er von Apollon getötet wurde, übertrug sich seine Seher-Gabe durch das vergossene Drachenblut auf den Ort. Drittere ist als besonders resilientes und invasives Gewächs bekannt, das uns alle überdauern wird und die zeitliche Ebene anspricht. Die Töpfe aus Terracotta erinnern an antike Amphoren, wiederrum eine Referenz auf die besondere Kultstätte. 

 

Die Zukunft ist seit jeher Projektionsfläche für Hoffnungen und Pläne der Menschen, wird aber immer wieder durch Verunsicherung und den damit einhergehenden Ängsten beeinflusst und erschwert oder gar blockiert somit die mögliche Verwirklichung jener. Sich diesen zu stellen, mit ihnen positiv umzugehen und im Kollektiv zu bearbeiten, ist Thema einer weiteren interaktiven Aktion. Mit essbaren, knalligen Farben und Glitzer werden Besucher*innen eingeladen, ihren innersten Ängsten den Kampf anzusagen. Auf Oblaten visualisiert, im nächsten Schritt mit einer Polaroidkamera dokumentiert und schlussendlich verinnerlicht. Damit startet die Künstlerin ein Archiv der kollektiven Ängste, um zu zeigen, dass wir nicht allein sind und gemeinsam viel mehr schaffen können. Dieses Motto ist nicht nur Devise in Leitners Kunst, sondern auch ein persönlicher Glaubenssatz.

Mehr zur Installation HIER. 

Das Phänomen Orakel erfährt mit Blick auf mehrere Facetten Aufarbeitung, gleichzeitig versucht die Ausstellung diese Institution zu intervenieren und Mittel an die Hand zu geben, um positive Möglichkeitsräume zu schaffen und ihre Realisierung zu fordern.

Text: Paula Marschalek, Kunsthistorikerin und Kuratorin